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philosophieren
bei tisch - ein gelage

aus dem Archiv: das philosophieren bei tisch - ein gelage
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Welser Kulturvermerke

Philosophiegelage in barockem Ambiente mit Tableau Vivants und 6-gängigem Menü zum Thema Sinn/Sinne/Sinnlichkeit

Konzept:
Dr. Robert Pfaller, Beate Rathmayr, Renate Schuler

Zu bestimmten glücklichen Zeiten hat die Philosophie, wie es scheint, in anderen Formen existiert als in den uns heute vertrauten. Wir kennen heute ja in erster Linie die akademischen Formen des Vortrags, der Podiumsdiskussion etc., die in Hörsälen oder öffentlichen Vortragsräumen stattfinden, - Formen also, in denen sinnliche Elemente fast ausschließlich die Rolle von unschicklichen Störfaktoren spielen.

Frühere Epochen dagegen haben die Philosophie in anderer Weise und an anderen Orten praktiziert. Das Philosophieren war in diesen Epochen ein Teil der Praktiken des sinnlichen Genusses. Man betrieb es z.B. beim Essen und Trinken, bei der körperlichen Liebe, bei den Übungen für den Ringkampf; die Orte waren dementsprechend: die gemeinsame Tafel von Freunden, das Boudoir, der Kampfplatz.

Interessant erscheint hier (im Zusammenhang der Frage nach den Themen "Sinn, Sinne,Sinnlichkeit"), daß diese Praktiken das Philosophieren offenbar mit Notwendigkeit einschlossen: Philosophieren war dem sinnlichen Genießen nicht nur nicht abträglich, sondern machte es allererst zu dem, was es war. Die Handlungen mußten von einem Diskurs begleitet werden, um als Handlungen ihren vollen Reiz zu erhalten: von Erzählungen beispielsweise, die den auszuführenden Handlungen Vorbilder liefern konnten; von Kommentaren, die die aktuell ausgeführten Handlungen durch ihre detailgetreue sprachliche Formulierung verdoppelten; von Reflexionen, die über die Kriterien solcher Handlungen Klarheit liefern und zugleich die Anwesenden durch Scharfsinn und Witz amüsieren sollten. Derart wurden die Handlungen selbst begreifbar als Bestandteile bzw. Verwirklichungsformen eines Diskurses, der ihnen ihre besondere Charakteristik gab: die einer heiteren, intelligenten Sinnlichkeit.

Das bedeutet klarerweise, daß hier auch, umgekehrt, die Sinnlichkeit dem Philosophieren nicht abträglich war. Vielmehr bildeten die Genußpraktiken den Auslöser: Sie waren zugleich Entstehungsort, Gegenstand, Antrieb und Vollzugsform der Philosophie. Sie schlugen sich in eigen- willigen Textgattungen nieder, z.B. dem Symposion oder dem erzieherischen Dialog - Textgattungen also, bei denen mehrere Sprecher in unterschiedlichen Rollen zu Wort kommen konnten und in denen neben der strengen.
argumentierenden Rede auch andere Formen der Äußerung zugelassen waren, z.B. das Erzählen von Mythen und Parabeln.

Die Veranstaltung "Das Philosophieren bei Tisch. Ein Gelage" versucht, in einer Form, die den gegenwärtigen Auffassungen von Schicklichkeit wie von Philosophie noch nahesteht, gleichwohl an diesen in Vergessenheit geratenen Aspekt des Philosophierens zu erinnern. Der Gegenstand der Veranstaltung ist also jene Sinnlichkeit, die des Philosophierens bedurfte, sowie jene Philosophie, die einer solchen Sinnlichkeit entsprechen konnte.

Das sollte nicht verwechselt werden mit der Ansicht, daß man einen Gegenstand wie die Sinnlichkeit nur in einer sinnlichen Form abhandeln könne. Wir gehen nicht davon aus, daß der Begriff des Zuckers süß sein und der
Begriff des Hundes bellen muß- Wir wollen lediglich versuchen, diesen einen speziellen, in der Vergangenheit liegenden Verbindungspunkt von Sinnlichkeit und Philosophie in Erinnerung zu rufen - eine fragmenthafte Erinnerung übrigens, nicht viel mehr als eine vage Ahnung, der Gegenstand einer Anspielung. Denn es ist klar, daß eine vergangene Form der Unterhaltung oder des Diskurses nicht mit einem Mal plastisch wiederbelebt werden kann - etwa so, wie Hollywoodfilme der fünfziger Jahre es mit verschiedenen Vergangenheiten versucht haben. Die Erinnerung soll vielmehr so vage gehalten werden, daß sie als Erinnerung kenntlich bleibt.

Möglicherweise entspricht das auch einem Grundmerkmal des Gegenstandes, der klassischen philosophischen Gelage: Es gibt darin sehr oft einen nostalgischen Zug, die Gelage werden aus der Erinnerung berichtet oder sie sind Veranstaltungen zur Erinnerung an frühere Gelage; die Griechen oder Römer erinnern sich an frühere Griechen, die Renaissance und das Barock gedenken der Antike, Makart und seine Gesellschaft imaginieren sich in Renaissance und Barock, die Protagonisten des "großen Fressens" denken an die italienischen Futuristen und an den Marquis de Sade. Der Verbindungspunkt von Sinnlichkeit und Philosophie tritt immer als ein schon vergangener, verlorengegangener, legendärer Punkt auf.

Vielleicht also hat die Verbindung von Sinnlichkeit und Philosophie niemals wirklich in der Form existiert, die die Texte beschreiben. Auch wenn sie jedoch nie existiert hätte, so hat sie gleichwohl Wirkungen hervorgebracht: Sie hat einerseits philosophische Texte und andererseits sinnliche Veranstaltungen inspiriet. Das aber bedeutet nicht weniger, als daß diese Texte und Veranstaltungen selbst die Realität sind, von der sie vorgeben, nur vage Abbilder zu sein. Für unsere Veranstaltung gibt diese Überlegung sozusagen eine Untergrenze an, das Minimum ihres Gelingens: Sie beansprucht nicht, die legendäre sinnlich-theoretische Einheit zu verwirklichen. Sie ist vielmehr schon gelungen, wenn sie sich so abspielt, wie sich vermutlich die meisten Gastmähler abgespielt haben, von denen die Texte nichts berichten: als eine Geselligkeit im Genuß, die von einem Zug der Erinnerung belebt ist.
(Dr. Robert Pfaller)


last update: 30/03/2008
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